Künstlergespräch mit Andy Kern

andy kern Wenn man als Maler macht, was man macht, hat das oft mehr mit Zwangsläufigkeit zu tun als mit fröhlicher Entscheidungsfreiheit. Du agierst in verschiedenen Ebenen, Sprachen und Techniken. Macht das den Prozess offener und seinen Ausgang geheimnisvoller?

stephan velten Die Arbeitsvorgänge sind in sich immer geschlossen. Ich arbeite auf drei Feldern – Malerei, Collage, keramische Skulptur – aber nie zur gleichen Zeit. Zeichnung und Grafik würde ich eher als Beifang sehen, hier werden Ideen festgehalten, ausprobiert und für die Malerei vorbereitet. Jeder Bereich hat seine eigenen Möglichkeiten. In den Collagen spielt man mit Material, das sein Ding schon gedreht hat, das authentisch ist und an sich nicht mehr hinterfragt wird. Diese Ursprünge scheinen dann in das neu entstandene Ordnungsgefüge hinein, es entsteht eine neue Welt und der Betrachter muss das Assoziationsspiel von Vertrautem und Fremdem zulassen, um sich über das neue optische Geflecht mit den möglichen Inhalten anzufreunden. In der Malerei muss Authentisches erst geschaffen werden, man beginnt materiell mit nichts als einer Art Ursuppe, die dann Akzente, Formen und Abläufe ernährt, bis sie selbständig sind. Man muss die Glaubwürdigkeit dessen was man darstellen will erst einmal herstellen, das heißt verdichten, reduzieren, verweben…

ak Offensichtlich kann das zeitgleich zu sehr verschiedenen Ergebnissen führen.

sv Wenn man das wie eine Skala betrachtet, findet bei mir die Verdichtung auf unterschiedlichen Stufen statt. Das fängt an beim fast Abbildhaften, z. B. in einigen »hungry«-Bildern, und endet bei einer ins Abstrakte verwandelten Konzentration in den Torsi. Dabei können frühere Stadien stehen bleiben und mit späteren korrespondieren. Die Dinge sind oft viel dichter bei einander als es der Betrachter wahr haben will. Eigentlich sind es nur unterschiedliche Zustandsebenen eines gemeinsamen Prozesses.

ak Was muss passieren, dass etwas Plastisches entsteht? Ist für Dich das dingliche Potenzial der Fläche unbefriedigend?

sv Für mich ist das Arbeiten an den keramischen Skulpturen der kreatürlichste Prozess überhaupt. Hier kommt diese ursprüngliche Kinderlust am Rummanschen, Kneten und Spritzen zum Tragen. Ich unterwerfe mich nicht bestimmten Abbildungszielen. Die Welt ist voller schöner Plastiken, ich leiste mir ein anderes Spiel. Die Objekte erscheinen nach ihrer Fertigstellung wie Fragmente, wie Relikte, die zeigen, dass Zeit vergeht, wie Fundstücke aus einer untergegangenen Werkstatt. Sie sind einfach da und strahlen in ihrer materiellen Präsenz etwas von einer unbekannten Kultur aus. Das interessiert mich, das grundsätzlich Geschichtliche. In der Malerei entsteht eine abstrakte Form eben anders und sie muss derart beschaffen sein, dass sie dort lebensfähig ist, dass man ihr die Anwesenheit in der Fläche abnimmt.

ak Heißt das, die Erfahrungen aus einem Bereich sind im anderen gar nicht hilfreich?

sv Jeder Versuch, gewonnene Erfahrungen aus dem einen in ein anderes Gebiet zu übertragen, ist gescheitert. Jedes Spiel hat seine Regeln und man beginnt immer am Anfang.

ak Aber es schwingt doch sichtbar eins im anderen mit. Wäre Deine Malerei ohne diese Exkurse nicht anders, vielleicht eindeutiger und auch einfacher zu verdauen?

sv Ich arbeite nach dem Prinzip des Welle-Teilchen-Dualismus.

ak Ach so?

sv Das physikalische Phänomen des Lichts mit seinen unterschiedlichen Eigenschaften ist ein komplexes Ganzes. Es gibt den Wellencharakter einerseits und andererseits die Quantenbildung. Nachdem mein Vater mir eine Grundausstattung für die Ölmalerei geschenkt hatte, musste er hinnehmen, dass in meiner Malerei zwei Bildtypen nebeneinander stehen. Abbildhafte, räumlich gebaute und wilde, abstrakt-emotionale. Im ersten Falle ergriffen die Bildinhalte Besitz von mir, im zweiten eher die malerischen Elemente, Farben, Formen, Strukturen. So ist das gekommen und eigentlich auch geblieben.

ak Das würde die Grätsche beschreiben, die ansteht, wenn man Deine Handschrift analysiert.

sv Die Frage der künstlerischen Handschrift spielt heute keine so große Rolle mehr. Das ist den Leuten schon zu anstrengend. Nur im Hinblick auf den Markt ist eine bestimmte Masche nützlich, rein erkennungsdienstlich. Da ich meine Bilder aber nicht stricke und sehr unterschiedliche Ideen unterbringen muss, bleibe ich beim dualen System. Es gibt in der Welt eben sichtbare Dinge und übergeordnete Prinzipien, das macht die Sache nun mal nicht einfach. Wenn ich auf meine Umwelt reagieren will, muss ich immer wieder neue Elemente und Kombinationen zulassen, Handschrift hin oder her.

ak Ich glaube, das ist ein Prinzip moderner Kunst, eine Voraussetzung für Zeitgenossenschaft.

sv Wirklich modern kann nur sein, was den uralten Gesetzen der Kunst folgt. Jede Generation bemüht sich um eine eigene Glaubwürdigkeit. Gluckst mal eine Avantgarde auf, wird sie im öffentlichen Bewusstsein etabliert und ist schon von gestern. Das ist eine Medienangelegenheit. Das einzig moderne ist für mich, immer wieder seinem Inneren zu folgen und dabei auch Welten nicht auszuschließen, die dem Betrachter fremd oder unangenehm sein können. Malerei ist in etwa das Gegenteil von Tapete, sie soll nichts zukleistern und ihr Schmuckwert ist eine Frage der Toleranz.

ak Wie tolerant bist Du gegenüber Deiner eigenen Arbeit?

sv Man schließt mit zunehmendem Alter mehr aus und arbeitet an Wiederholungen und Verdichtungen. Es haben sich Grundthemen herauskristallisiert und man duldet nicht mehr jede Ablenkung. Vielleicht wird einem allmählich klar, dass die Zeit keine Wunden heilt, sondern selbst die Krankheit ist.

ak Klingt realistisch, aber auch ein wenig ausweglos. Ist Malerei doch die große Lebenstherapie, die sich als lustvolles Hobby tarnt? Steht das vermehrte Federlesen in Deinen Bildern dafür?

sv Ich war von Anfang an auf die Malerei fixiert, wie die Gänse auf Konrad Lorenz. Da ist ein Geheimnis, ein Mysterium, vielleicht weil sie so unplanbar ist. Man kann noch so viele Visionen vorformulieren, das Bild kann sich total verweigern. Man bekommt es manchmal erst auf die Reihe, wenn die ursprüngliche Idee zerstört ist und nach unerhörten Umwegen plötzlich der Ausgangspunkt wieder auftaucht. Wo erlebt man so was schon so sinnlich?

ak Das geht wohl nur in den Künsten. Aber wann fängt das an?

sv Wir haben unsere Prägungen. Wir werden Männchen oder Weibchen, gesellig oder menschenscheu, und wir sehen, bevor wir sprechen. Als ich das erste Mal aus dem Kinderwagen fiel, landete ich inmitten von Hühnerfedern auf dem Hof meiner Großeltern. Für mich war der Farbton von rostendem Eisen geheimnisvoller als der von jungem Huflattich. Fliegen Federn durch die Gegend, ist dem meist irgendeine Spielart von Gewalt vorausgegangen, das kriegt man beizeiten mit.

So kommen Metallpigmente in meine Bilder und eben auch Federn. Bei den alten Ägyptern war die Feder das Symbol für die Weltordnung. Die römischen Auguren waren Inhaber eines Schamanenwissens über die Flug- und Verhaltensweisen der Vögel. Und der Mensch kann nicht fliegen. So kommt eins zum anderen.

ak Bleiben wir mal auf dem Hühnerhof. Klein-Stephan liegt im Dreck und macht gerade die Erfahrung einer jäh veränderten Perspektive. Mir gefällt der Gedanke, dass so ein poetisches Weltbild entsteht, körperlich, vielleicht sogar schmerzhaft.

sv Man begreift, was ein Horizont ist. Plötzlich hat sich das Verhältnis von Himmel und Erde verändert.

ak Und von da an ist man unterwegs.

sv Wahrscheinlich.

ak Irgendwann halten Horizonte Einzug in Deine Bildwelt, es finden sich Menschengruppen merkwürdig unschlüssig zusammen vor einem gestrandeten Bootskörper unter dem Schriftzug »hungry«. Das taugt für die Formel von allem Unheil in der Welt.

sv Es geht um den Westeuropäer und um die Behauptung, dass die Gesellschaft satt sei…

ak Geht es nicht um die Männerhorde, frei von jeder Himmelsrichtung?

sv Alle haben Hunger nach mehr. Nach Macht, Einfluss oder frischem Fleisch. Innere Kräfte halten sie bei der Stange. Und es geht um eine elementare Szenerie. Das Ende vom Festland, der Beginn des Meeres oder umgekehrt. Eine Umbruchsituation, geschichtlich, hormonell, irgendetwas ist im Busche. Täglich flimmert uns in die Bude, was daraus folgt oder dem voraus geht. Die Eroberung der Kontinente oder des nächsten Straßenzuges. Feldpostkarten zeigen unsere Großväter oft in diesen schicksalhaften Verbindungen. Ihr Lächeln ist ein anderes als es später in den Heimkehrerstuben sein wird. Irgendwie ist alles verwoben und alles im Fluss. Und man kann, was das bildnerische angeht, die elementaren Massen recht sinnvoll durch fließende Farbe gliedern.

ak Sind die Torsi unter diesem Aspekt eine Rettung in etwas ursprünglich Ganzheitliches, in eine friedliche Urform?

sv Wenn Du das Friedliche als Utopie setzt, das ständig in Frage gestellt wird. Es ist schon ein Versuch der Konzentration auf einen inneren Kern, auf ein wesenhaftes Zentrum, das die Dinge zusammenhält, wie auch immer die Zeit darüber hinweg fährt.

ak Und ihre Erscheinung verändert, wie die Skulpturen in Sanssouci zeigen.

Das wäre eine der aufrichtigen Erfahrungen in unserem überfärbten Alltag der Kopien und Fassaden. Die überkommenen Figuren werden, sind sie von den Gezeiten verschmiert, blankgescheuert und es beginnt von vorn. Es könnte eine grundsätzliche Verlautbarung von Malerei sein. Man muss nur zur rechten Zeit hinschauen, dann verkündet die Oberfläche auch, was hinter ihr liegt. Ich mag Bilder, die rau sind. Das ist mehr Arbeit fürs Auge.

Aus „STEPHAN VELTEN“ editionsperl, Gespräch mit Andy Kern als Text für das Künstlerheft, POTSDAM 2004